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Die Welt schaltet den Klima-Turbo ein

Der CO2-Preis treibt die Dekarbonisierung voran

Ein oberflächlicher Blick auf die Entwicklung des CO2-Preises täuscht: Die Kapitalmärkte haben eine Vervielfachung auf langfristig 200–300 Dollar pro Tonne vorweggenommen und lenken Kapital entsprechend weg von Öl und Gas in den Aufbau der kohlenstoffarmen Energieinfrastruktur.

Ende 2020 machte der Schweizer Rückversicherungskonzern Swiss Re international Schlagzeilen — und das nicht «umsonst». Hat er doch tatsächlich als erstes multinationales Unternehmen den internen CO2- Preis Anfang 2021 auf beachtliche USD 100 pro Tonne festgelegt. Die nächste Stufe auf USD 200 soll bis 2030 erklommen werden. Damit die Zielvorgaben des Pariser Klimaabkommens nicht verwässern, braucht es solche deutlichen Neuausrichtungen grosser Konzerne.

Dieser Schritt hatte weit über Swiss Re hinaus eine Signalwirkung. Denn auf der einen Seite reflektiert ein hoher CO2-Preis die beträchtlichen Kosten der fossilen Energien für Mensch und Umwelt. Auf der anderen Seite macht nur ein hoher CO2- Preis die sauberen Alternativen verhältnismässig günstiger.

Das Vorgehen von Swiss Re erfolgte zu einem Zeitpunkt, als der Marktpreis im europäischen CO2-Handelssystem noch bei rund USD 25 pro Tonne und der weltweite Durchschnittspreis bei etwa USD 5 für dieselbe Menge lagen. Drei Viertel aller globalen Emissionen wären demnach «gratis», weil sie weder besteuert noch von einem System erfasst werden.

Die Schere der Kosten für Energieprojekte der «alten» und der «neuen» Welt geht zusehends auseinander.

Die (fast) unbemerkte CO2-Bepreisung

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn fast unbemerkt hat sich auf den globalen Kapitalmärkten Erstaunliches getan. Dort wird offenbar seit mindestens zehn Jahren ein implizierter CO2-Preis von USD 80–100 vorweggenommen. Zu diesem Schluss kommt Michele Della Vigna, der Leiter des viel beachteten «Carbonomics»- Programms von Goldman Sachs.

Als Ausgangslage zieht er die durchschnittlichen Kapitalkosten von acht bis zehn Prozent heran, die noch vor zehn Jahren für Investitionsprojekte im Öl- und Gasbereich üblich waren. Diese haben sich inzwischen auf rund 20 Prozent erhöht, während die Kosten für Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien im gleichen Zeitraum auf drei bis fünf Prozent gesunken sind.

Die Schere der Kosten für Energieprojekte der «alten» und der «neuen» Welt geht zusehends auseinander. Investor*innen möchten entschädigt werden, da sie angesichts des 1.5-Grad-Ziels bei Ölprojekten ein viel grösseres Risiko erkennen. Als Folge sind nur noch die finanziell attraktivsten Vorhaben der fossilen Energieinfrastruktur finanzierbar.

Zur Kasse bitte

Unterdessen erhöhte sich auch der Preis im europäischen CO2-Handelssystem merklich auf rund EUR 60 pro Tonne. Da die Gesamtmenge an Emissionsrechten regelmässig verkleinert wird, hängt dieser Anstieg mit technischen Aspekten zusammen. Nichtsdestotrotz spiegelt sich darin auch die ökonomische sowie politische Realität wider. Und der Preis wird noch auf USD 200–300 pro Tonne anziehen, damit auch die teureren Lösungen für Emissionsminderungen umgehend finanziell realisiert werden können.

Darauf müssen sich sowohl die Realwirtschaft als auch Finanzinvestor*innen einstellen (siehe auch Infobox «CO2-Zertifikate als Finanzanlage»).

Die Weichen für «Low Carbon» sind gestellt

Noch fehlt ein weltweites System zur Regelung einheitlicher Kohlenstoff-Preise. Bisher hat die EU das bedeutendste inne. Doch auch China hat diesen Sommer sein lang ersehntes Handelssystem in Betrieb genommen. Auf dem Weg zu einem globalen System sind jedoch zwei grosse Hürden zu überwinden. Will man über die erste, muss ein internationaler Ausgleichsmechanismus vereinbart werden, sodass Länder mit hohem CO2-Preis nicht benachteiligt werden. Die EU legt vor und hat bereits Importzölle auf kohlenstoffintensive Produkte angekündigt («Carbon Border Adjustment Mechanism»). Die zweite Hürde stellen die sozialen Nachteile hoher CO2-Preise dar, welche es abzufedern gilt. Das Instrument der Lenkungsabgabe ist hierfür eine Möglichkeit, die verhindern kann, dass die sozial Schwächsten am meisten unter höheren Preisen leiden. Die Weichen sind gestellt: Ein wesentlich höherer CO2-Preis wird schneller Realität, als manch eine*r erwartet hätte. Die sinkenden Kapitalkosten für den Bau der «Low Carbon»-Infrastruktur stehen indessen in direkter Wechselwirkung zu den ebenfalls abflachenden Technologiekosten. Die Kombination aus beidem weckt berechtigte Hoffnung, dass der dramatische Umbau der Weltwirtschaft bis 2050 gelingen kann.