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Ein Blick auf die Zukunft

Karin Frick, Leiterin Research beim Gottlieb Duttweiler Institut, über Trends und Gegentrends in Wirtschaft, Gesellschaft und Konsum.

Es ist viel von Megatrends die Rede. Welche Entwicklung nehmen wir noch zu wenig wahr bzw. unterschätzen wir?
Menschliches Leben ist geprägt von Knappheitserfahrungen. Doch in einer Datenwirtschaft herrscht Überfluss, und da gelten andere Regeln und Gesetzmässigkeiten als in einer industriellen Mangelwelt. In einer digitalen Wirtschaft gibt es von allem mehr als genug. Ein digitales Gut kann von einer Person konsumiert werden und bleibt dennoch für alle anderen verfügbar. Bei fast allen Produkten, die wir heute noch so exklusiv sehen wie einst eine Musik-CD, können Besitz und Nutzung entkoppelt werden. Erfolg hängt immer mehr von immateriellen Aspekten ab: Vernetzung, Interaktion, Aufmerksamkeit, Daten, Forschung und Entwicklung, Skills und Talenten.

Hier Apokalyptiker, dort Zukunftsoptimisten. Mit welcher Perspektive kommen wir weiter?
Am interessantesten sind Perspektiven, die auf eine kreative Verbindung von Mensch und Maschine setzen. James Lovelock, der Begründer der Gaia-Hypothese, freut sich zum Beispiel als 100-Jähriger darauf, dass unsere Computernachkommen über uns hinauswachsen. Er erwartet, dass das «Anthropozän» (die Ära, in der die Menschen die Erde und das Leben darauf entscheidend verändert haben) abgelöst wird vom «Novazän»*.

Das neue Zeitalter wird von höheren technischen Intelligenzen geprägt sein, die schneller denken und lernen können und die Menschen vor ihrer «natürlichen Dummheit» schützen. Er fürchtet sich dabei nicht vor der Herrschaft der Maschinen, denn die Maschinen werden erkennen, dass sie organisches Leben und die Menschen brauchen, um den Planeten auf einer bewohnbaren Temperatur lebenswert zu halten.

Was bedeutet dieser Wandel gesellschaftlich?
Die gesellschaftlichen Entwicklungen hängen stark von der Verteilung des Datenreichtums ab. Je mehr Daten jemand hat, desto besser ist sein Produkt; je besser das Produkt, umso mehr Daten kann man sammeln; je mehr Daten man sammeln kann, desto mehr Talente kann man gewinnen; je mehr Talente man gewinnen kann, desto besser wird das Produkt … Je weniger Unternehmen die Daten kontrollieren, umso mehr werden gesellschaftliche Hierarchien verstärkt und ein neues Klassensystem geschaffen: mit einer schmalen Oberschicht, die das System gestaltet und beherrscht, einer breiten Mittelschicht, die sich anpasst und mit dem System arrangiert, einer wachsenden Unterschicht, die vom System ruhig gehalten wird, sowie einer kleinen Aussenseiterschicht, die versucht, sich dem System so weit wie möglich zu entziehen.

„Je weiter Technologie fortschreitet, umso mehr rückt sie in den Hintergrund.“

Eine Welt mit zu viel Digitalisierung und Automatisierung ist für viele nicht wünschenswert. Wie lenken wir eine menschliche Technologieentwicklung?
Je weiter die Technologie fortschreitet, umso mehr rückt sie in den Hintergrund und umso weniger braucht sie unsere Aufmerksamkeit. Wir werden sie nur noch beachten, wenn etwas nicht funktioniert. Convenience gewinnt immer. Kaum jemand will heute längerfristig auf Elektrizität, Waschmaschinen, Mobilität oder sein Smartphone verzichten. Eine humane Entwicklung hängt entscheidend davon ab, wer die Daten kontrolliert, und nicht davon, wie viel Digitalisierung in einem Produkt steckt.

Sind Sie optimistisch, wenn Sie an die Zukunft der Menschheit denken?
Ohne die Hoffnung, dass man etwas verändern kann, kommt man nicht weit. Mit Optimismus können wir mit den Herausforderungen des Lebens besser umgehen, sind leistungsfähiger, neugieriger und innovativer.

*James Lovelock: Novacene: The Coming Age of Hyperintelligence. London: Allan Lane 2019.

Karin Frick – «Die Visionärin»

Karin Frick befasst sich seit ihrem Studium an der Universität St. Gallen (HSG) in verschiedenen Funktionen mit Zukunftsthemen, gesellschaftlichem Wandel, Innovation und Veränderungen von Menschen und Märkten.
Sie war als Chefredakteurin der renommierten Vierteljahresschrift «GDI Impuls» und als Geschäftsführerin der Schweizerischen Vereinigung für Zukunftsforschung (swissfuture) tätig. Im Auftrag namhafter Firmen analysiert sie Trends im Konsumgüter- und Dienstleistungsbereich.