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Ist der Klimawandel gesellschaftlich oder als Naturkatastrophe riskanter?
Der Klimawandel führt zu einer Zunahme der Häufigkeit und Intensität von Katastrophen wie Waldbränden, Überschwemmungen oder Wirbelstürmen. Cristine Eriksen und David Bresch sind zwei ETH-Forscher, die Katastrophen aus unterschiedlichen Blickwinkeln untersuchen: Während sich Eriksen auf die sozialen Aspekte von Katastrophen konzentriert, entwickelt Breschs Team Wetter- und Klimamodelle. Dennoch sind sie sich einig, dass die soziale Dimension für das Ausmass von Katastrophen relevanter ist als die Naturgefahr selbst.
«Der grösste Risikofaktor für Katastrophen ist die gesellschaftliche Entwicklung.»
David Bresch, Professor für Wetter- und Klimarisiko, ETH Zürich
Um was geht es
Christine Eriksen ist Humangeografin am Center for Security Studies der ETH Zürich. Bevor sie ihre Arbeit an der ETH aufnahm, arbeitete sie 13 Jahre lang in Australien und erlebte persönlich, wie Waldbrände immer häufiger wurden. «Als ich in den 2000er-Jahren mit meiner Forschung begann, konnte man in Australien in der Regel alle 5 bis 10 Jahre mit einem Grossbrand rechnen. Jetzt kommen sie alle 2 bis 3 Jahre vor», sagt Eriksen.
Wichtiger als die erhöhten Risiken aufgrund des Klimawandels sind jedoch soziale und kulturelle Prozesse. Eriksens Untersuchungen in Australien und Kalifornien haben gezeigt, dass immer mehr Menschen auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum und einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie aus den Städten wegziehen. Diese Ausdehnung der städtischen Gebiete in die Nähe der Wälder erhöht die sozialen Risiken, die Waldbrände mit sich bringen. Aus diesem Grund betont Erikson, dass Katastrophen nicht «natürlich» sind – es ist die soziale und kulturelle Dimension, die ein Naturereignis wie einen Waldbrand zu einer Katastrophe macht.
David Bresch leitet eine Gruppe für Wetter- und Klimarisiken an der ETH Zürich und hat eine ereignisbasierte Modellierungsplattform namens CLIMADA entwickelt, mit der sich die sozioökonomischen Auswirkungen von Wetter- und Klimaereignissen berechnen lassen. CLIMADA ist eine Open-Source-Software, die von lokalen Behörden weltweit genutzt werden kann, um Wetterrisiken ihrer Region zu bewerten. Bresch arbeitet eng mit Behörden in Hochrisikogebieten zusammen, zum Beispiel in der vietnamesischen Stadt Hue, die stark von tropischen Wirbelstürmen betroffen ist. Sein Team versorgt die Behörden mit praktischen Warnungen: Anstelle von Windgeschwindigkeiten zeigen sie die potenziellen Auswirkungen bevorstehender Wirbelstürme auf. Dabei geben sie konkrete Ratschläge, wo eine Evakuierung in welchem Ausmass stattfinden sollten. Trotz Breschs unterschiedlicher Herangehensweise an das Thema stimmt er mit Eriksens Einschätzung überein: Auch er sieht die gesellschaftliche Entwicklung als den grössten Risikofaktor für Katastrophen. Eine verstärkte Bautätigkeit in bestimmten Gebieten erhöhe das Risiko von Überschwemmungskatastrophen weitaus stärker als extreme Wetterereignisse selbst, erklärt er.
Warum ist das wichtig
Nach Angaben der UN-Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten (DESA) leben etwa ein Drittel der städtischen Bevölkerung der Welt in einer Stadt mit hohem Risiko für Naturkatastrophen. Katastrophen treffen die ärmere Bevölkerung unverhältnismässig stark und verschärfen die Ungleichheiten, weil ärmere Menschen weniger Möglichkeiten haben, die Auswirkungen von Katastrophen zu bewältigen und sich davon zu erholen. Eriksen untersuchte die sozialen Auswirkungen des Hurrikans Katrina, der New Orleans im Jahr 2005 heimsuchte. Sie stellte fest, dass ärmere Haushalte aufgrund des schlechteren Zugangs zu privaten und öffentlichen Verkehrsmitteln seltener evakuiert wurden und eher in stark exponierten, niedrig gelegenen Gebieten lebten, die nach dem Versagen des Hochwasserschutzes am stärksten betroffen waren. «Klasse, ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Behinderungen, Bildung und Religion waren allesamt Schlüsselfaktoren dafür, wie anfällig die Menschen auf die Auswirkungen von Katrina waren», sagt Eriksen. Auf globaler Ebene wird dieses Problem durch den Klimawandel noch verschärft: Während Länder mit einem hohen Bruttoinlandsprodukt (BIP) am stärksten zur globalen Erwärmung beitragen, sind Länder mit einem niedrigeren BIP unverhältnismässig stark von den negativen Folgen des Klimawandels, einschließlich Naturkatastrophen, betroffen.
Die Globalance-Sicht
Angesichts der sich abzeichnenden Zunahme von Naturkatastrophen aufgrund des Klimawandels ist eine globale Unterstützung der am stärksten gefährdeten Menschen erforderlich. Ein weiteres Mittel, um die Risiken der stark betroffenen Bevölkerung zu reduzieren, ist der Zugang zu Versicherungen. Eine Möglichkeit für Investor*innen, zur Erhöhung der Versicherungsdurchdringung beizutragen, sind Katastrophenanleihen, kurz Cat Bonds. Cat Bonds sichern Versicherungsunternehmen im Falle von Naturkatastrophen wie Wirbelstürmen, Überschwemmungen oder Erdbeben ab. Ohne sie wären die Versicherungsunternehmen nicht in der Lage, das mit der Versicherung von Hochrisikobereichen verbundene Risiko zu tragen – vor allem, wenn ein Unternehmen grosse Teile eines Stadtviertels versichert. Heute ist der Markt für Katastrophenanleihen noch stark auf die Vereinigten Staaten ausgerichtet. Eine Ausweitung auf ärmere Länder ist wünschenswert, um auch da den Zugang zu Versicherungen zu verbessern.
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