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«Slowness ist eine Zukunftsbewegung» 

Vom hippen Boutiquehotel zur regenerativen Farm: Claus Sendlinger hat als Gründer von Design Hotels die Spielregeln der Branche mitgeschrieben – und dann hinterfragt. Mit Slowness sucht er nach neuen Antworten auf die Frage, wie Reisen wieder Wirkung entfalten kann.

Claus Sendlinger ist ein Vordenker des bewussten Reisens.

Mit Design Hotels hat er eine Plattform für sorgfältig kuratierte, unabhängige Boutiquehotels geschaffen und über zwei Jahrzehnte die internationale Hotellerie geprägt.

2015 hat er seine Anteile am börsenkotierten Unternehmen verkauft und anschliessend Slowness gegründet – ein internationales Kollektiv für regenerative Orte, neue Lernräume und einen achtsamen Umgang mit Gastfreundschaft.

Claus Sendlinger, Sie haben das Reisen über viele Jahre mitgestaltet. Was hat sich für Sie persönlich verändert?

Ich habe früh gespürt, dass Veränderung ein ständiger Prozess ist. Das hat mich angetrieben. Schon mit Design Hotels wollten wir nicht einfach nur Hotels vermarkten, sondern eine Haltung transportieren. Aber irgendwann holt der Markt auch die besten Ideen ein und macht aus Individualität Standard. Wenn ein Begriff wie Design in den Schaufenstern der Innenstädte auftaucht, hat er seine ursprüngliche Tiefe verloren. Darum ist auch Slownessentstanden: eine Gegenbewegung zur Beliebigkeit.

Was bedeutet Slowness für Sie?

Slowness steht für Tiefe, Klarheit und Verantwortung. Es geht darum, bewusst zu entscheiden, Dinge zu durchdringen und Beziehungen aufzubauen, die auf Qualität beruhen.

Die Idee ist aus einer gewissen Unzufriedenheit mit einer Welt entstanden, die immer schneller wird, mehr Marketing betreibt und dabei an Substanz verliert. Ich wollte zu einem Zustand zurückkehren, in dem Sinnhaftigkeit vor Schlagworten steht.

Warum sehen Sie Begriffe wie «Storytelling» oder «Nachhaltigkeit» nur noch als leere Hüllen?

Weil sie inflationär verwendet werden. Früher diente Storytelling der Sinnstiftung. Heute dient es oft nur noch als Verpackung. Das Gleiche gilt für Nachhaltigkeit. Wenn jeder damit wirbt, ohne zu zeigen, wie er handelt, verliert der Begriff seine Bedeutung. Wir bei Slowness sagen deshalb: Do first, talk later. Erst handeln, dann erzählen.

Was braucht es, damit sich das Reisen wieder sinnvoll anfühlt?

Orte, die echt sind. Gastgeberinnen und Gastgeber, die ihre Werte aus Überzeugung leben, nicht als Marketingelement. Und Reisende, die offen sind für Tiefe statt Tempo.

Viele der kraftvollsten Ideen entstehen im Kleinen – in Häusern mit Charakter, einem verwurzelten Team und Geist für Gemeinschaft. Unsere Farm La Granja auf Ibiza war so ein Ort: nur elf Zimmer, regionales Essen, Menschen mit Verständnis für Ernährung und Kreisläufe. Alles, was dort passierte, hatte einen Grund. Dort haben wir gezeigt: Sinn und Wirtschaftlichkeit passen zusammen. Wenn Haltung spürbar ist, entsteht Vertrauen. Und genau das macht Orte erfolgreich.

Und wie lässt sich nachhaltiger Tourismus umsetzen?

Nachhaltiger Tourismus ist kein Widerspruch, wenn man ihn ernst meint. Was heute als nachhaltig verkauft wird, ist meist nicht mehr als ein grünes Label. Die echten Konzepte scheitern häufig an den Rahmenbedingungen. Ein Beispiel: Wenn ein Hotelprojekt weniger Zimmer und mehr Raum für Gemeinschaft plant, gilt es schnell als «nicht bankfähig». Solange Nachhaltigkeit nicht ähnlich wie EBITDA oder Cashflow in den Bilanzen zählt, bleibt sie ein schönes Extra.

Auch der Wohnraum wird gerne übersehen: In Destinationen wie Ibiza verdrängen Ferienwohnungen die Arbeitenden. Wohnungen, die früher 1’500 Euro pro Monat gekostet haben, liegen heute bei 4’000 Euro Miete. Das kann sich keine Köchin, kein Rezeptionist leisten. Wenn Gemeinden nicht regulieren, entstehen Parallelwelten: vorne die Kulisse, hinten das Ungleichgewicht.

«Wir dürfen Reisen nicht wie einen Raubzug denken, sondern wie eine Beziehung.»

Claus Sendlinger

Ist Nachhaltigkeit ein Luxus für wenige?

Für mich bedeutet Luxus, zu wissen, woher mein Frühstück kommt – und dass dafür niemand ausgebeutet wurde. Qualität hat ihren Preis. Aber es gibt Wege, verantwortungsvolles Reisen breiter zugänglich zu machen und zu fairen Preisen anzubieten. Entscheidend ist nicht die Grösse des Zimmers, sondern die Werte, die darin gelebt werden.

Sie haben einen neuen Campus in Berlin ins Leben gerufen. Was ist die Idee dahinter?

Der Flussbad-Campus soll Gastfreundschaft neu denken, im Zusammenspiel von Bildung, Gemeinschaft und bewusstem Leben. Neben Hotel und Restaurants entstehen dort auch ein Gesundheitsbereich und eine Schule für Gastgeberinnen und Gastgeber mit Haltung, die Verantwortung übernehmen wollen. Orte wie der Campus können Keimzellen für den Wandel sein.

Was ist Ihre Vision?

In der Luxushotellerie werden oft nur sieben von zehn offenen Stellen besetzt – gut ausgebildete Talente sind der Schlüssel. Ich wünsche mir eine Branche, die Gastfreundschaft als kulturellen Beitrag versteht und Menschen wachsen lässt. Junge Menschen suchen Sinn, Gemeinschaft und Gestaltungsräume. Gelingt es, diese spürbar zu machen, verändert sich auch unser Bild vom Reisen.

75%

der Reisenden wollen in den nächsten zwölf Monaten nachhaltiger reisen.

83%

sagen, nachhaltiges Reisen sei ihnen wichtig.

28%

fühlen sich bereits übersättigt von Klimabotschaften.

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